Von Noise zur Natur

Chris Watson auf der Suche nach Stille

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„Der Kassettenspieler war mein erstes Musikinstrument“ – Nicolas Jaar

Ich kann das gut nachvollziehen. Als Kind musste ich Klavierunterricht nehmen, aber ich mochte es auch mit dem Kassettenrecorder zu experimentieren. Egal ob ich Songs aus dem Radio mitschnitt oder Geräusche aus meinem Zimmer aufnahm, das Kassettendeck erlaubte es einem kreativ zu arbeiten, zu schneiden und zu arrangieren.

 

Pioniere der Techno-Musik

 

Um einiges älter als ich oder Nicolas Jaar ist der Sound-Pionier Chris Watson, der auch von der Musique concrète beeinflusst war. In den frühen 70er Jahren gründete Chris Watson die Band Cabaret Voltaire. Sie mischten Avantgarde mit New Wave. Experimentelle Klänge wurden mit Popmusik kombiniert. Die Musique Concrète hat seine Wurzeln in der Klangkunst von Pierre Schaeffer, er erforschte Klänge, indem er zum Beispiel fahrende Züge aufnahm und die Geräusche dann in Endlosschleife loopte. Seit ihrem Beginn hatte die Musique Concrète also immer diesen Bezug zu industriellen Themen. Also war es auch kein Wunder, dass Cabaret Voltaire als Industrial Band mit Loops arbeiteten. Letztens schafften sie, trotz aller Experimentierfreude doch einen ziemlich poppigen Sound, der als Pionierarbeit gesehen werden kann.

 

Quiet is the new loud

Aber das war damals in den 70er Jahren. Heute scheint Chris Watson ruhiger geworden zu sein. Er entschied sich Anfang der 80er dagegen, seine Karriere als Keyboarder bei Cabaret Voltaire weiter zu verfolgen. Die Ziele von Cabaret Voltaire waren in den 70er Jahren an erster Stelle antikommerziell und pro-experimentell. Trotzdem erreichten sie anfang der 80er Jahre auch kommerziellen Erfolg. Das war der Punkt, an dem Chris entschied, die Band zu verlassen und sich auf seine wahre Leidenschaft zu konzentrieren: Sounds aufzunehmen. Ich traf ihn an einem der schönsten Strände der nordenglischen Küste. Es ist auch seine Heimat, die Region um Newcastle.

„Ich glaube, dass die Menschen generell inzwischen mehr interessiert an Klängen sind. An den Geräuschen, die sie umgeben. Die Menschen werden sich ihrer akustischen Umgebung bewusst. Das ist eine sehr schätzenswerte und wichtige Sache. Das Nachdenken darüber was sie mögen und was sie nicht mögen, eine Art Kontrolle über ihre Sound-Umgebung. Als Konsequenz wollen sie sie auch erfassen oder abfangen. Sound ist offensichtlich wichtig für uns. Denn er hat diese beachtenswerte Kraft, uns zurück zu Plätzen und Orten zu bringen.“

Zurück zu den Wurzeln der Weidenbäume

Jetzt gräbt Chris förmlich nach den Geräuschen unter der Oberfläche. Geräusche, die wir hören, aber auch Geräusche, die jenseits unserer Wahrnehmung liegen und wo Hydrophone oder Kontaktmikrophone gebraucht werden, um etwas hören zu können. Dabei gibt es keine Grenzen, nicht unter Wasser oder in Baumstämmen drin. Chris sieht auch keine Grenzen zwischen den verschiedenen Arten von Medien, mit denen er arbeitet. Das sieht man in seinen Arbeiten als Sound Artist, Musiker oder auch als Freelancer fürs Fernsehen und Radio.

In seiner Arbeit als Toningenieur für die BBC, hat er die ganze Welt gesehen, wenn er mit den Geräuschen der Natur und der Tiere arbeitete. Jetzt ist er zurück in seiner Heimat und geht mehr und mehr ins Detail. Er hat den ganzen Winter über Geräusche entlang des Küstenareals Embleton Bay aufgenommen, um damit eine Ausstellung für das AV-Festival zu gestalten. Das Werk heißt: Dunstanburgh Diamonds.

 

Diese Diamanten sind eigentlich große raue Steine auf dem Strand, die durch Ebbe und Flut zu glatten und runden Kugeln geformt worden. Ich nahm ein Aufnahmegerät mit und versuchte ein paar Klänge des Soundwalks einzufangen. Leider war das Gerät für diesen Zweck nicht geeignet. Chris benutzte winzige Hydrophone. Als wir sie in einem Baum installierten, wurden die Geräusche unangenehm laut. Das Schütteln des des Weidenbaums erzeugte Klänge, die sich anhörten wie in einem U-Bahnhof. So hören wohl Insekten die Welt.

„Ich denke, Sound, zusammen mit unserem Sinn fürs Riechen, hat diesen sehr kraftvollen Effekt, den das Visuelle nicht wirklich hat. Es schließt alles mit ein, es ist sehr dreidimensional. Der nächste Schritt ist natürlich, dass die Leute es selbst erforschen wollen. Sie machen ja auch ständig Fotos mit ihren iPhones. Leute wollen nicht nur zuhören, wie hier beim Soundwalk, sondern auch ihre eigenen Aufnahmen machen. Weil sie merken, wie wertvoll und von Bedeutung diese Aufnahmen sind.“

Bewusst zuhören

Heutzutage hat sich die Technologie enorm verbessert und es gibt eine Menge Toningenieure, die einen guten Job machen. Aber damals war die Branche unerfahren und gerade erst am Wachsen. Die Standards waren geringer. Man kann es mit der Evolution der Musikvideos vergleichen, deren Fortschritt über die letzten 30 Jahre auch Schritt für Schritt ablief.

Die Idee der Umweltverschmutzung durch Geräusche ist nicht wirklich neu. Diese Erkenntnis hat ihren Ursprung in den 70er Jahren. Aber heute ist das Problem noch lange nicht gelöst. Die meisten bewohnten Gegenden in der Welt sind mit Krach und urbanen Geräuschen verschmutzt. In Embleton Bay zu spazieren und dort die natürlichen Geräusche zu hören ist ein Privileg. Unverfälscht und unberührt durch die Geräuschverschmutzung unserer modernen urbanen Welt.

weiterführende Links:

Homepage von Chris Watson

Homepage von Cabaret Voltaire

Review zu „Chris Watson – El Tren Fantasma